Buch-der-Sajaha

Einleitung

Neuübersetzungen (1991) geistlicher Schriften pflegen stets zunächst Anhänger und Gegner zu gewinnen. Man bedenke nur, wie es diesbezüglich mit wohl jeder Neuübersetzung des Neuen Testaments steht – und diese sind leichter in den Griff zu bekommen, als das Buch der Sajaha.

Sajaha war Oberpriesterin in Esagila, dem Tempelbezirk von Babylon, zur Zeit Nebukadnezars II. (605-562 vor unserer Zeitrechtung). Sie war darüber hinaus persönliche Ratgeberin und Vertraute des Königs. Nähere Einzelheiten sind jedoch nicht sicher bekannt.

Sajaha hat uns bedeutende Weissagungen hinterlassen. Sie war eine Seherin, was in der babylonisch-altorientalischen Tradition ebenso verankert ist, wie in der deutsch-germanischen.

Die bekannte Übersetzung ist keineswegs überholt. Die Sprache der Jahrhundertwende bereitet jedoch heutzutage vielen jüngeren Lesern Schwierigkeiten.

Überdies wurde in jener Übersetzung in einigen Punkten mehr nach Sinn als nach Wortlaut vorgegangen.

Einige Stellen sind sehr schwierig zu übersetzen. Dies insbesondere in Saj. 1 und Saj. 9, aber auch in den Bruchstücken Saj. 16 und Saj. 18. Wo die Gefahr einer Sinnentstellung bestand, wurde hier lieber ein unklares und mitunter unschön klingendes Deutsch hingenommen, als womöglich den Sinn zu verändern.

Dieses Sajaha-Buch ist weitgehend vollständig. Auch die bisher nur in Interlinear-Übersetzung vorhanden gewesenen Bruchstücke Saj. 16-19 sind hier enthalten. Allein der zweite Brief an den König wurde nicht berücksichtigt, da er fast vollständig unleserlich ist; man erkennt kaum mehr als Anrede und Gruß. Ebenfalls nicht in dieses Buch aufgenommen wurden einige vorhandene Briefe von Sajaha-Schülerinnen, die in der allerersten Herausgabe enthalten waren, jedoch eines eigenen Platzes bedürfen.

Text

SAJAHA 1

(Brief an den König)

Mein König, wie dir nun schon bekannt ist, sind überall Schwingungen und Ströme von unterschiedlicher Art und Kraft, aber überall und in allem und jedem, im bloß Erahnbaren sogar.

Es ist also für alles, und so auch für die Menschen, das Dasein ein ständiges Sein inmitten eines Meeres von kosmischen und magischen Schwingungen und Strömen, ja, es ist gleich einer weiten See, welche wiederum viele verschiedene Meere in sich birgt.

So geschieht es, daß einjeder und einejede aus solchen Meeren von Schwingungen und Strömen unablässig erhält und auch wieder von sich gibt – ohne aber noch irgendetwas von alledem bestimmen zu können, ja, zumeist es gar nicht bemerkend.

Es liegt diese Ohnmacht gegenüber den Schwingungen und den Strömen, die doch so allwirksam sind, vor allem daran, daß die hohen Gaben der reingebliebenen, gottnahen Menschen seit dem Untergang des Ur-Reiches fast gänzlich abhanden geraten sind. Und die sich vermischenden Nachfahren verloren das meiste von der alten Kraft.

Daher ist es gekommen, daß vor allem in jenem Bereich, der nicht Bewußtheit ist, die strömenden Kräfte da wirken und nur in geringem Ausmaße von Weisen ein wenig gelenkt, nie aber wirklich beherrscht und zweckdienlich benutzt werden können.

Dies liegt daran, daß die feinen Nerven der Ahnen [bei den heutigen Menschen] verkümmert sind, die für das Beherrschen der hohen Kraft notwendig waren, bei den Nachfahren und den Nachkommen von diesen aber nicht mehr vorhanden sind.

Das einzige Werkzeug, das die Schwingungen und Ströme [noch] auffangen und beherrschbar machen kann, sind die langen Haare der Frauen. Wie ein zartes, aber großes und dichtes Netz können sie die Kräfte halten und lenkbar machen, sofern eine [Frau] das dazu Notwendige versteht, von dem bekannt ist [aus den magischen Lehren].

Dies bedeutet nun, daß die meisten Menschen die magischen Ströme nicht handhaben können, obwohl sie mitten in ihnen sind; und daher sind sie wie steuerlose Boote auf einem unbekannten Meer.

Deshalb sollen die wenigen Befähigten ihr Vermögen benutzen, um den vielen Anderen wegweisende Lichter zu halten in dem stillen unsichtbaren Meer. [Die Schwingungen der Naturgewalten gelten als männlich, die magischen hingegen als weiblich.]
SAJAHA 2

(„Ereschkigal und die Eulen“)

„Wo, ihr Weisen, hat der Kreis seinen Anfang? Und wo sein Ende?“ – Darüber befragte Ereschkigal einst die Eulen, die in tiefen Höhlen hausen bei Tag und die Welt bloß schauen zur Nacht.

Die erste Eule sprach: „Wo das Licht aufhört, ist der Anfang des Kreises, und wo die Finsternis aufhört, dort ist sein Ende.“

Die zweite Eule sprach: „Denn alles hat einst begonnen im Licht, durchwandert das Dunkel und kehrt zum Lichte zurück.“

Die Ereschkigal aber wollte noch anders es wissen und befragte weiter die Eulen: „Ihr sprecht zu mir vom Laufe der Ewigkeit in Unendlichkeit. Ich aber habe hier einen Kreis gezeichnet mit einem Griffel auf einen Stein. Ihr sprecht von jener Welt – ich aber frage nach dem Sinn in dieser!“

Die erste Eule sprach: „Alles, was in jener Welt gilt, das gilt auch in dieser; bloß gibt es in jener noch tausendfach mehr.“

Die zweite Eule sprach: „Dein Kreis, den du uns gezeichnet da zeigst, ist doch nichts anderes als ein kleines Abbild des Großen.“

Da wurde die Ereschkigal ungeduldig und rief den Eulen zu: „Ihr wollt zu einem mir machen, was voneinander verschieden ist! Sagt mir, wo bei diesem, meinem Kreise, Anfang und Ende sind!“

Da lachte die erste Eule und die zweite antwortete: „Dort sind Anfang und Ende, wo du das eine, wie das Andere, beim Zeichnen gesetzt hast. Doch nun hast du es vergessen.“

Und die erste Eule sprach: „Wie du dieses Kleine vergaßest, so auch das Große. Denn wüßtest du um den Beginn allen Seins, so würdest du uns des Kreises wegen nicht fragen. Ich erkläre dir aber, weil du es wissen mußt, noch dies Folgende: Es ist – was immer du beginnst in der Erdenwelt – nicht mit sich allein, es hat sein höheres Gegenstück, sinnhaft in der anderen Welt, von der du, Ereschkigal, wissen mußt.

Zeichnest du den Kreis hier mit dem Griffel auf den Stein, so hast du eine in sich geschlossene Linie, die, ihrer Art gemäß, anscheinend weder Anfang noch Ende haben kann – und dennoch einst hatte!

So steht es auch mit dem großen Kreislauf der Ewigkeit in Unendlichkeit: Verbunden für immer ist alles miteinander, von Anfang bis Ende bekannt dem, der schuf.

Dies gibt, daß nun alles untrennbar ist, vom Anfang bis zum Ende, unlösbar, durch alle Kreisläufe der Ewigkeit. Und so du deines gezeichneten Kreises Anfang und Ende nicht mehr auseinanderzuhalten weißt, so ergeht es auch dem, der alles Sein schuf.

Im Anfang ist ihm das Ende vertraut und im Ende der Anfang. Eines ist alles – jeder Hauch der Ewigkeit.

Falls du jetzt noch nicht begreifst, so gehe und erfrage mehr in der anderen Welt.“

Da stand die Ereschkigal von dem Stein auf, auf dem sie gesessen hatte, und verließ die Eulen.

Die zweite Eule aber sprach zur ersten: „Ereschkigal hält sich allzuoft in der Unterwelt auf. Darum ist der Kreis für sie so, als stünde sie in ihm und sei durch ihn gefangen. Frei ist ja nur, wer auf seiner Linie entlanggeht.“

Als Ereschkigal jedoch durch die langen Gänge ihres unterirdischen Palastes schritt, der Worte der Eulen noch eingedenk, da sah sie plötzlich am Ende des längsten Tunnels das ferne Licht des Ausgangs; und sie verstand, daß an der Quelle des Lichts Ende und Anfang sich treffen.

Quelle: http://thuletempel.org/wb/index.php/Buch-der-Sajaha

 

 

Raum und Zeit sind gekrümmt.

Alles kehrt an seinen Anfang (Ursprung) zurück.

 

Der Kreislauf der Wiedergeburten (das Rad des Lebens) – Geburt & Tod – Schöpfung & Auslöschung